Programm

Donnerstag, 21. März

13–14 Uhr

14–15 Uhr

Kick-off

15–16 Uhr

Keynote

Der Vortrag wird der Frage nach der Funktion des Museums vor dem Horizont radikaler Demokratietheorie nachgehen. Dazu wird zunächst dargelegt, was radikale Demokratie überhaupt ist oder sein könnte. Ziel ist es, Kriterien radikaler Demokratien zu entwickeln, die dazu beitragen können, kulturelle Institutionen auf ihr Demokratisierungspotenzial hin zu befragen. Unser Blick muss dabei, so die These, über den realen Zustand dieser Institutionen – und damit über die real existierenden liberalen Demokratien – hinausreichen. Das schließt eine Kritik scheindemokratischer Partizipationsformen ein. Es geht um die Erweiterung unseres demokratischen Vorstellungshorizonts.

16–16:30 Uhr

16:30–17:30 Uhr

Keynote

This paper will lay out what a museum might be when it is not a collection of objects with numerous departments who provide the facilities to serve these and expand their mediation and remit. This could be understood as a ‘centrifugal’ movement whose different components operate to create greater ‘impact.’ Instead I would want to think of the potentialities of the museum when it is a circuit of relations, imaginaries, emergent communicative modes, alternative attentions that understand singularisation in the experience of the visitor — a ‘centripetal’ mode that draws into itself while producing new social affects.

17:30–18:30 Uhr

Roundtable

Freitag, 22. März

10–10:30 Uhr, Kino

Kick-off Tag 2

10:30–12:30 Uhr, Kino

Moderiert von Nora Sternfeld, Panel

Antirassistische Geschichten aktivieren, versammeln, subjektivieren und erinnern

Archiv der Vermittlung. Das Unarchivierbare aktualisieren

Seit Mitte der 1990er Jahre wurden unter der Bezeichnung „Kunstvermittlung“ Handlungsformen entwickelt, die zahlreiche Diskurse, Praktiken, Methoden und Konzepte an der Schnittstelle von Kunst, Bildung, Politik und Gesellschaft hervorgebracht haben. Die Erfahrungen und Strategien der Akteur:innen in der Vermittlung haben jedoch wenig Niederschlag in den Archiven gefunden, handelt es sich doch oft um ein Wissen, das im diskursiven Zwischenraum, im Gespräch, in Ausstellungen entsteht. Wie kann also das Wissen der Vermittlung in die Gegenwart geholt und zugänglich gemacht werden, damit in Zukunft damit gearbeitet werden kann? Was bleibt? Was fehlt? Was tun? Das Projekt Archiv der Vermittlung von Büro trafo.K und schnittpunkt versammelt analog und digital eine erste Auswahl von Positionen, Erinnerungen, Erfahrungen und Materialien. Es entsteht in einem dynamischen Prozess, der Vergangenes aktualisiert und auf eine Weise ordnet, die offen bleibt und ständig erweitert werden kann.

Gruften, Gräber, Grabdenkmäler. Das koloniale Archiv der Berliner Nikolaikirche besprechbar machen

Die Nikolaikirche ist das älteste Kirchengebäude in Berlins historischer Mitte und damit bis in das 18. Jahrhundert eine der wichtigsten Grabstätten der städtischen Eliten. Neben Kanzlern, Diplomaten, Angehörigen des märkischen Adels und anderen Geistlichen liegen hier auch Personen wie Carl Constantin von Schnitter begraben. Nach seinen Entwürfen wurde die Festung Groß Friedrichsburg im heutigen Ghana erbaut, einem zentralen Knotenpunkt im europäischen Versklavungshandel. Als Kommandant führte von Schnitter nach Fertigstellung des Forts die sogenannte Kolonie Groß Friedrichsburg. In der Nikolaikirche wird dieser Teil seiner Biografie jedoch erst seit 2022 öffentlich thematisiert. Ob es auch bei anderen Personen, die in der Kirche begraben sind, koloniale Bezüge gibt, ist bisher nur marginal erforscht. Was ist im vorhandenen Archiv der Gruften, Grabdenkmäler und –inschriften bisher unsichtbar geblieben – und wie kann das Verschwiegene und Verdrängte wissenschaftlich, künstlerisch, partizipativ herausgefordert werden? Der Input geht am Beispiel eines laufenden Ausstellungsprojekts auf Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze ein und fragt nach den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, koloniale Archive wie dieses dekolonial nutz- und lesbar zu machen.

And All Those Objects Marked by Toxicity. Zum Archiv als Pharmakon

Die zuletzt in der Kunsthalle Mainz gezeigte Installation Dessus, dessous et á travers von Sybil Coovi Handemagnon besteht aus einem Stuhl, einem Tisch und zwei Metallregalen mit zahlreichen grauen Kartonschachteln. Eine Box, deren Inhalt die Besucher:innen mit beiliegenden Handschuhen selbst erschließen können, trägt ein Label mit dem handschriftlich geschriebenen Text: „And All Those Objects Marked by Toxicity”. Die chemische Toxizität von Objekten in Archiven und Sammlungen, etwa durch die Rückstände von Insektiziden, überträgt Handemagnon auf die toxische Wirkung, die diese, insofern sie in kolonialen (Gewalt-)Zusammenhängen stehen, auf unsere Vorstellungswelt und Lebenswirklichkeit entfalten können. „Gift“ und „Heilmittel“ wurden im Altgriechischen, wie Jacques Derrida bereits ausführlich untersuchte, mit demselben Wort bezeichnet: φάρμακον. Der Impulsvortrag wird der Frage nachgehen, ob sich in diesem ambivalenten Sinn auch Archive als ein Pharmakon denken lassen, deren toxische ‚Substanz‘ ein Heilmittel sein kann.

10:30–12:30 Uhr, OG 1

Moderiert von Joachim Baur, Panel

Jenseits des Wahnsinns von Archivpolitik

Sammlungen, die sich mit Kolonialerbe und gewaltbehafteten Objekten beschäftigen, stehen vor der Herausforderung, geeignete Behälter, die diesen Schmerz beherbergen können, zu konzipieren. Konventionen, Grenzen, Ausstellungsformate für Archive und Sammlungen müssen demnach neu ausgehandelt werden. Die Unmöglichkeit dem „Thema“ gerechte Körper für deren Aufbewahrung zu finden, geht mit dem immerwährenden Versuch einher, solche neu zu konzipieren. Colonial Neighbours, ein Archivversuch von SAVVY Contemporary stellt sich dieser Herausforderung, indem sie AkteurInnen verschiedenster Disziplinen mit in den Diskurs einbindet. Der Versuch einer fragmentierten Mappe der Erinnerungskultur zu zeichnen, öffnet das Projekt eine Plattform für Austausch und Dialog und ist gleichsam ein Ort für Kollaborationen mit Künstler*innen und Kulturproduzent*innen, Wissenschaftler*innen, Aktvist*innen und anderen Akteur*innen.

Critical Curating. Reflexive Museumspraxis in politisch angespannten Zeiten

Seit einigen Jahren werden die Angriffe und Einschüchterungsversuche aus dem rechten politischen Spektrum auf Kultureinrichtungen immer vehementer – europaweit wie auch im bundesdeutschen Kontext. Auch ethnologische Museen, die sich mit der Kolonialität ihrer Sammlungsbestände und Wissensordnungen auseinandersetzen, sind verstärkt zur Zielscheibe der Kritik geworden. Die öffentlichen Infragestellungen einer reflexiven, postkolonialen Museumspraxis werden mitunter noch von Kritiker:innen aus dem Museumsfeld selbst unterstützt. Mein Vortrag nimmt diese an manchen Orten prekäre politische Situation zum Ausgangspunkt für die Frage nach den Notwendigkeiten und Strategien einer kritischen Wissensproduktion, die sich auch auf diese politisch-gesellschaftlichen Realitäten einlässt. Anhand von Beispielen aus der eigenen Museumspraxis der letzten Jahre insbesondere in Sachsen möchte ich mich mit möglichen Strategien auseinandersetzen, die eigene Forschungs- und Ausstellungspraxis öffentlich zu reflektieren und unsere Begriffe von Publikum und Öffentlichkeit zu schärfen.

Das Museum: Trainingsort für Dissenstoleranz?

Wenn radikale Demokratie bedeutet, davon auszugehen, dass sich ein immer schon gegebener gesellschaftlicher Dissens nicht auflösen lässt, zählt es zu den Aufgaben des radikaldemokratischen Museums, diesen sichtbar und aushaltbar zu machen – und das, ohne die gesellschaftliche Spaltung voranzutreiben. Aber was folgt daraus konkret? Sollten Museen als diskursive Arenen entworfen werden? Grundsätzlicher gefragt: Sind sie überhaupt ein geeigneter Ort für politische, ästhetische und kulturelle Debatten? Oder liegt ihr epistemisches Potential womöglich woanders? Der Kurzvortrag stellt zwei Museen vor, die sich als experimentelle Handlungsräume verstehen und deren Bemühen sich darauf richtet, spezifische Formen der imaginativ aufgeladenen Weltaneignung bereitzuhalten. Ihre Räume, Veranstaltungen und Objektkonstellationen laden dazu ein, sich für eine Welt voller Widersprüche und Zweifel zu interessieren. Solche Häuser verstehen sich insofern als radikaldemokratische Orte, als sie für das Aushalten von Dissens und Ambiguitäten werben.

Das Museum als Chor. Zwischen Multivokalität und Positionierung

Vom Museum wird heute oft verlangt, ein Ort der Debatte und sogar des Konflikts zu sein und gleichzeitig für soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte einzustehen. Ersteres erfordert eine Vielfalt von Meinungen und eine Vielzahl von Narrativen, letzteres setzt eine klare Positionierung voraus. Können sich diese beiden potenziell widersprüchlichen Agenden im Museum produktiv manifestieren? Kann eine Ausstellung radikale Multivokalität fördern, Wissen über die Gesellschaft produzieren, das über einen oft oberflächlichen Konsens hinausgeht, und ein Ort sein, an dem antagonistische Weltanschauungen debattiert und herausgefordert werden, während gleichzeitig eine klare gesellschaftspolitische Haltung eingenommen wird? Auf der Grundlage der Besucherforschung, die ich zusammen mit Irene Hilden in der Ausstellung „Berlin Global“ im Humboldt Forum durchgeführt habe, wird dieser Beitrag sich vorzustellen versuchen, wie und welche „agonistischen Interventionen“ (Cento Bull et al. 2021) es ermöglichen würden, Multivokalität mit Positionierung zu verbinden und einen demokratischen Raum zu schaffen, in dem der Konsens nicht im Mittelpunkt steht, während das Potenzial für das Engagement und die Veränderung der Besucher:innen erhöht wird.

12:30–14 Uhr

14–16 Uhr, Kino

Moderiert von Joachim Baur, Panel

Dear Visitors (Zur Frage der Gestaltung von Ausstellungen)

An die Gestaltung von Ausstellungen und Archiven besteht die berechtigte Erwartung, mit integrativen und partizipativen Angeboten auf potentielle Besucher*innen zuzugehen. Fragen der Vermittlung, des Outreach, der Teilhabe stehen zunehmend im Zentrum der Gestaltungsanforderungen. Endlich kann so der die Wirklichkeit eher verdunkelnde bürgerliche Begriff des Publikums aktiv interpretiert und damit Menschen, die nie als Teil dieses Publikums angesehen waren, angesprochen werden. Nun – es ist dabei aber wie immer, wenn kritische Forderungen Mainstream werden: der Anspruch einer intensivierten und ausgeweiteten Vermittlung, wie er in Ausschreibungen und Förderrichtlinien als Imperativ platziert wird, setzt die Legitimität von Kulturproduktion in Abhängigkeit von der Akzeptanz der Besucher*innen. Schematisierte Anforderungskataloge voller Mitmach- und Konsumangebote abzuarbeiten, machte es nicht immer leichter, radikale Inhalte künstlerischer oder inhaltlicher Art räumlich-informationell weiter zu entwickeln. Wie kann auf der Ebene der Gestaltung von Ausstellungen Integration und Herausforderung oder auch Verdaubarkeit und Radikalität offen zusammengedacht werden, wie kann ein aktives und kritisches Verständnis von Besucher*inneninteraktion gedacht werden, das die eng gesetzten Grenzen der Kulturproduktion und -repräsentation überwindet?

Konflikte hören - Raumtheoretische Reflektionen zu Stille, Lärm und Abwesenheiten im Museum

Das Museum ist ein auditiver Raum. Manchmal leise, manchmal laut – Schuhe quietschen übers Parkett, Kinder quängeln, Geräte zur Regelung der Raumtemperatur surren; kuratierte Geräuschkulissen füllen Ausstellungsräume durch Klang-Installationen, blechern durch Audio-Guides. Obwohl in vielen kulturell-geographischen Kontexten kontemplative Stille als Verhaltensideal im Museum vorherrscht, können Museumsräume auch Orte für unvorhergesehenen ‚Lärm‘ sein, sei es durch schnarchende Tiere, angeregten Tratsch oder das Ausrufen aktivistischer Parolen gegen Museumssponsoring von Opiod- oder Waffenhändlern. Der explorative Beitrag diskutiert das kontingente Spektrum von Stille hin zu Geräusch/Lärm in Museumsräumen in Kanada und den Niederlanden als politischen Aushandlungsprozess über (un)gewollte An- und Abwesenheiten von Bedeutung, Sichtbarkeit und Macht in postkolonialen Kontexten. Letztlich begebe ich mich auf das rutschige Terrain einer postfundamentalistischen (Museums)Raumtheorie, die Konflikt als konstitutiven Bestandteil von Museumsproduktion begreift.

Gesellschaftsspiele: Theater als agonistischer Raum

Theater westlicher Prägung war immer ein Medium zur Darstellung von Konflikten und Gegensätzen. Auseinandersetzungen werden stellvertretend ausgetragen, mal körperlich, mal psychologisch, mal diskursiv. Theater ist ein Ort des Verhandelns, ein pluralistischer – wenn auch oft parteiischer – Raum, in dem ein spielerischer (aber ernsthafter) Agonismus Widersprüche nicht nur am Leben hält, sondern vor allem erlaubt, sie frei zu artikulieren. Was Theater zum demokratischen Diskurs beitragen kann, ist seine besondere Kompetenz im Zusammenbringen von Menschen in Situationen, die auf eigentümliche Weise real und fiktional, tatsächlich und symbolisch zugleich sind. In der paradoxen Maschine des Theaters können wir Teil eines Gesellschaftsspiels sein und uns zugleich von außen kritisch beobachten, während wir damit beschäftigt sind, die Regeln zu durchschauen, zu verhandeln, zu verändern oder gar ein ganz anderes Spiel auszuprobieren.

Museen als Rückzugsorte für Migrant*innen? Tania Brugueras „School of Integration“

Kurz vor dem Brexit, der im UK einer Welle an anti-migrantischem Ressentiment Vorschub leistete, inszenierte die kubanische Künstlerin Tania Bruguera die „School of Integration“ in der Manchester Art Gallery. Es handelte sich um eine temporäre Bildungseinrichtung im Rahmen des Manchester International Festival,. die zwei Wochen lang im Rahmen eines dichten, öffentlich zugänglichen Workshop-Programms das Wissen der migrantischen Community von Manchester würdigte. Anhand dieses Beispiels wird diskutiert, wie Kunsträume im Zuge politischer Ereignisse wie dem Brexit zu Rückzugsorten für Migrant*innen werden – und wie sich dieser Ansatz zu den kolonialen Sammlungspraktiken verhält, durch die diese Räume einst zustande kamen.

14–16 Uhr, Museum Ostwall im U (Beiratsraum)

Workshop

Praxen, das Museum für eine breitere Öffentlichkeit zu öffnen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Museum Ostwall im Dortmunder U (MO). Dies wird auch in der aktuellen Sammlungspräsentation „Kunst Leben Kunst. Das Museum Ostwall gestern, heute, morgen“ sichtbar. Um einen langfristigen und verbindlichen Austausch mit der Dortmunder Stadtgesellschaft zu ermöglichen, wurde im März 2023 der MO_Beirat gegründet. Gemeinsam mit dem MO_Team reflektiert dieses Gremium kritisch den bestehenden Sammlungsbestand des MO sowie dessen Präsentationen. Ziel ist es, gemeinsam Strategien zur Diversifizierung des Sammlungsbestands zu entwickeln, sowie Wege zu finden, Sammlungspräsentationen in Inhalt und Form inklusiver zu gestalten. Mitglieder des Beirats - Nesrin Altuntas, Birgit Rothenberg, Dr. Horst Luckhaupt und Damian Sombetzki - laden im Beiratsraum in der Ausstellungsfläche zu einem Gespräch über ihre Arbeit, Möglichkeiten der Mitwirkung an der kommenden Sammlungspräsentation und den geplanten Ankauf eines Kunstwerks für die Sammlung des Museums ein.

16–16:30 Uhr

16:30–18:30 Uhr, Kino

Moderiert von Nada Rosa Schroer, Panel

A Theatre of Understanding

Im Grunde ist alles da. Man muss es wahrnehmen und aktivieren. Die übersehenen Ecken, die einfach rein funktional mitlaufen, anstatt sie als relevanten Teil eines Museums zu integrieren. Seiteneingänge für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, die, im Schatten der eindrucksvollen „Haupteingänge“, komplett ausklammernd wirken. Die kleine Geste, Menschen auf ihr Ticket zweimal kommen zu lassen und damit zu vermitteln: Nehmt euch die Zeit. Oder als Haus aktiv aus der eigenen comfort zone heraus- und in den Stadtraum zu gehen, anstatt vorauszusetzen, stets Zentrum zu sein. Derzeit wird in Institutionen fast inflationär von Öffnungs- und Transformationsprozessen gesprochen. Doch wollen Häuser in letzter Konsequenz wirklich die Gleichzeitigkeit einer Gesellschaft in ihren Räumen? Es wäre eine so spannende Chance. Das Museum als einen Ort der Gleichzeitigkeit von Gesellschaft, wie man es vielleicht nur und eher unfreiwillig in Autobahnraststätten oder BürgerInnenämtern erlebt. Mit vielen Positionen, die plötzlich Themen miteinander aushandeln, sich gegenseitig aushalten und regelrecht “durcheinander durcharbeiten” müssen (und vielleicht sogar wollen!). Hier möchte ich ansetzen und weiterdenken … über das Museum als ein Theater des Verstehens.

Das moderne Museum als Anthropozän-Institution: Planetarische Imaginarien, feministische Sorgearbeit und zeitgenössische kuratorische Praxen

Das moderne Museum verfügte machtvoll über die Dinge des Lebens und die Phänomene des Planeten, die es zu Dingen und Phänomenen des Museums machte. Das Museum entzog die Dinge den Lebenszusammenhängen. Das Museum entzog den Dingen das Leben. Diese Museumspraxis des Bestimmens und Herrschens über die Grenze zwischen Leben und Nicht/Leben wird im Vortrag als kulturelle Artikulation der Politiken, Ökonomien und Technologien des Anthropozän analysiert. Ausgehend von der Befundung, dass das moderne Museum eine Anthropozän-Institution ist, wird epistemischen und ethischen Fragen des Kuratierens nachgegangen. Was bedeutet es für kuratorische Praxen, welche sich auf Sorge und Sorgetragens, hergeleitet von der etymologischen Wurzel von kuratieren, lateinisch curare, sorgen, berufen, das Museum als Anthropozän-Institution zu begreifen? Wie kann das Museum ein Ort werden, an dem für planetarische kulturelle Imaginarien Sorge getragen werden kann? Wie verhält sich Kuratieren als kritische feministische Sorgearbeit zum Erbe des modernen Museums und zur Zukunft? Wie kann feministische Sorgearbeit als Trauerarbeit praktiziert werden, die kollektiv um planetarische Wesen trauert, die wegen des Anthropozän ihr Leben verloren haben? Kuratieren als Sorgearbeit ist die insistente Arbeit am Wissen um und der Überwindung der Kultur des Anthropozän, welche die Grenze zwischen Leben und Nicht/Leben gewaltsam beherrscht.

Vom Museum zum Tribunal: Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit für Siloé!

In Siloé, einem Stadtviertel von Cali in Kolumbien, manifestieren sich Armut und Marginalisierung ebenso wie Stolz, Widerstandsfähigkeit und Gemeinschaftssinn. Seit über 40 Jahren sammelt und dokumentiert der Bewohner und Aktivist David Gómez die Geschichte und den Alltag in Siloé aus der „popular y pobre“-Perspektive der Subalternen. Das „Museo Popular“, gegründet von Gómez im Jahr 2000, beherbergt als „lebendiger Raum zum Spielen, Singen, Zuhören und Lernen“ nicht nur eine umfangreiche Objekt-, Foto- und Videosammlung zu Siloé, sondern spielte eine entscheidende Rolle bei der Sichtbarmachung der brutalen staatlichen und parastaatlichen Gewalt während des nationalen Generalstreiks 2021 in Kolumbien. Gemeinsam mit Opferfamilien rief die Stadtteilgruppe um das Museo Popular das „Tribunal Popular en Siloé“ ins Leben – ein zivilgesellschaftliches Tribunal, das die Untersuchung der zahlreichen Menschenrechtsverbrechen, Morde und Gewalttaten selbst in die Hand nahm. Im Vortrag zeichne ich gemeinsam mit Mitgliedern des Museo Popular - David Gómez, Andreas Hetzer, Ani Dießelmann und Isabella Albán - nach, wie sie sich das juridische Format eines „Peoples´ Tribunals“, zu deutsch Völkertribunals, als gemeinschaftlichen Stadtteilprozess aneigneten. Das Museo Popular steht exemplarisch für eine radikaldemokratische Museumspraxis, die sich unnachgiebig sozialen und politischen Kämpfen verpflichtet fühlt.

Gegenforensische Medienästhetik: Versuche radikaler Befreiung

Einer der Gründungsmomente des Museums sei auf 1946 zu datieren, als dieses im engen Austausch zwischen ICOM und UNESCO als ein transnationales neuverhandelt wurde (Sternfeld 2018). Im gegenwärtig dominanten Diskurs um Künste und Menschenrechten gelten erstere zwar als wirkungsvoll, jedoch unvermögend; es aktualisiert sich darin das griechische Modell der Befreiung, so die These. Diesem Modell zufolge resultiere Befreiung von der „Knechtschaft“ aus einer schöpferischen Bewusstwerdung und führe zu Identitätsbildung und Subjektivierung (Menke 2022). Auch für heutige Kunstfreiheit und kulturelle Rechte des UN-Systems sind diese bestimmend (Cuny 2023, Guibert 2023). Nicht in dieses Schema zu passen scheinen virtuelle, digitale, und (tat-)ortsspezifische Sphären durchschreitende expositorische, kuratorische und evidenzgenerierende Verfahren von Forensic Architecture. Wie sich gegenforensische Gegenöffentlichkeiten und radikaldemokratische Zeug:innenschaften zum Menschenrechts-Kunst-Diskurs positionieren lassen und wie die investigativen Methoden sich zu algorithmischer „Homophilie“ (Chun 2018) und dem „Black technical object“ (Amaro 2022) verhalten, wird zur Diskussion gestellt.

16:30–18:30 Uhr, OG 1

Moderiert von Eva Meran, Panel

„Polarized Publics?!“ – Das ethnographische Studienprojekt an der Schnittstelle zu Wissenschaft, Kunst und Öffentlichkeit

Das ethnographische Studienprojekt in der Empirischen Kulturwissenschaft steht für das Erlernen kollaborativ-ethnographischer Forschung mit unterschiedlichsten Projektpartner*innen. Nicht selten beinhaltet dieses Lehrformat eine öffentliche Präsentation der studentischen Forschungen und setzen sich Studierende intensiv mit der „Arbeit der Repräsentation“ im Sinne der britischen Cultural Studies auseinander. Am Beispiel zweier Studienprojekte am IfEE an der HU Berlin und am ISEK der Universität Zürich möchte ich dem Zusammenwirken von Wissenschaften/Bildung und Öffentlichkeiten nachspüren. Verstärkt sind in Deutschland und International wissenschaftliche Kontexte und Zugänge wie die Gender and Queer Studies, die Postcolonial Studies und die kritische Migrationsforschung Gegenstand gezielter politischer Kampagnen. In zwei ausgewählten Studienprojekten sind wir der Konjunktur „polarisierter Öffentlichkeiten“ einerseits theoretisch und konzeptuell nachgegangen, andererseits haben wir konkrete Öffentlichkeitsprojekte und deren ästhetisch-kollaborativen Praktiken auf dem Bildungsfeld erforscht. Wie kann Lehre in Zeiten von Wissenschaftsfeindlichkeit und einer tumulthaften und moralisierenden Atmosphäre gemeinsam gestaltet werden? Wie können wir Räume schaffen für ein hoffnungsvolles Studieren in hoffnungslosen Zeiten?

Die Kritische Universität als Museum – das Museum als kritische Universität?

Im Wintersemester 1967/68 veranstalteten die „Freie Studienorganisation der Studenten in den Hoch- und Fachschulen von Westberlin“ die „Kritische Universität der Studenten, Arbeiter & Schüler“. Die AStA der FU Berlin, politische Abteilung, firmierte als Herausgeberin eines Vorlesungsverzeichnisses, in welchem 33 Arbeitskreise zur Diskussion damals relevanter Themen vorgestellt wurden . „Hochschulgesetzgebung“, „Technische Intelligenz und Gesellschaft“ oder „Strategie und Taktik politischer Aktionen als didaktisches Problem“ lauteten ausgewählte Titel der Arbeitskreise. Beim letzteren steht geschrieben: „Das Seminar ist gleichzeitig ein hochschuldidaktisches Experiment, in dem sich aus ihm heraus eine Reihe ausschließlich studentischer Übungen entwickelt. Eine „Seminarleitung“ durch Dozenten gibt es nicht (…)“. Rückblickend stellen sich Fragen: Wer konnte an diesem Experiment teilnehmen? Wer war ausgeschlossen? Was ist geblieben? Was heißt das für’s Museum? Und was für uns heute?

Recht auf Stadt, Recht auf Museum… Annäherungen an eine mobilisierende Praxis von Bildung

„Das Museum ist eine öffentliche Institution, die mit der Straße als Raum des Protests und dem Parlament als Versammlungsraum verbunden ist, aber anders kann und macht.“ (2018, S. 21). Nehmen wir dieses Zitat aus dem Werk Sternfelds als Ausgangspunkt, dann stellt sich die Frage, wie viel Straße, Protest und Versammlung im Museum eigentlich zu finden sind. Eine politische Bedeutung wird insbesondere in zeitgenössischen Ausstellungen fast immer postuliert. Meist hat sie jedoch einen symbolischen Charakter und bleibt in ihrem Wirken ungeprüft. Wie könnte eine Praxis aussehen, die das museale Politische beim Wort nimmt, über die Museumsräume hinausträgt und neu verhandelt? Wenn wir das Museum bewusst im Stadtgefüge verorten und mit anderen Akteur*innen, Bewegungen und Diskursen nachhaltig verbinden, würden wir über etablierte Ordnungen hinweg arbeiten. Könnte dabei die Recht auf Stadt Idee als mobilisierenden Organisationsansatz genutzt werden, um uns konträr zu gegenwärtigen Verwertungslogiken zu positionieren und ein Bewusstsein für das Recht auf Museum zu bilden?

Aktivierung und Passive Revolution: Die Einverleibung herausfordern

Dass kritische, postrepräsentative Gegenentwürfe zur Museumspraxis der Vergangenheit stets auch ihrer hegemonialen Inkorporierung ausgesetzt sind, ist nicht Diagnose, sondern Ausgangspunkt der Reflexion um "Das radikaldemokratische Museum". Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Mechanismen des Transformismus hegemoniale Prozesse aber nicht ergänzen, sondern Teil ihres Wesens sind, versuche ich in meinem Beitrag die in diesen Prozessen wirksamen kulturellen Kräfte mit Raymond Williams auf Bildungs- und Vermittlungsfragen zu beziehen: Das Museum wäre dann das Residuale, dem radikaldemokratische Kunstvermittlung mit ihrem Anspruch, "etwas zu denken, das es noch gar nicht gibt" (Sternfeld) als emergente Kraft gegenübertritt. Wenn also keine dominante Kultur sämtliche menschliche Praxis erschöpfen kann, wie Williams schreibt, was bedeutet es für emanzipatorische Bildung, sich ihrer Einverleibung gleichzeitig zu stellen und sie herauszufordern?

Ab 19:30 Uhr, MKK, Hansastraße 3, Dortmund

Samstag, 23. März

10–12 Uhr

Moderiert von Nora Sternfeld, Panel

Museum queeren - Queerness musealisieren? Aus dem Maschinenraum eines „radikalen“ Projekts: Das Schwule Museum Berlin (SMU)

Das Schwule Museum wurde 1985 - mitten in der AIDS-Krise - von einer Handvoll eigensinniger Aktivisten gegründet, um dem systematischen Ausschluss queerer Geschichte und Kultur aus dem kollektiven Gedächtnis entgegenzuwirken. Angetrieben von den gesellschaftlichen Umbrüchen, die queere Lebensentwürfe in die Mitte der Gesellschaft befördert haben, ist das Museum heute international eine der wichtigsten Institutionen in seinem Feld und selbst eben dort angekommen. Der Beitrag stellt vor, wie das SMU navigiert zwischen (Staats-) Knete und Queerness, (politischer) Agenda und (Drittmittel-) Anträgen, Passion und Professionalisierung. Er stellt zur Diskussion, was ein „queerendes“ Museum sein könnte, wenn einerseits ‚Diversity‘ zur CI von Konzernen und Behörden gehört und andererseits das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung immer neu attackiert wird und wie es gelingen kann, nicht am eigenen Erfolg zu scheitern.

Commoning History: Vergesellschaftung als Praxis politischer Imagination

In ihren Überlegungen zum Radikaldemokratischen Museum bezieht sich Nora Sternfeld auf das Konzept der Undercommons von Stefano Harney und Fred Moten (2013). Im Rahmen von fugitive practices setzen sich die Undercommons in eine „subversive, kriminelle Beziehung zur Institution“, indem sie „ihren Platz in den Institutionen finden und deren Zukunft beanspruchen, insofern sie da sind und gerade so, wie sie nicht eingeladen oder beauftragt sind“ (Sternfeld 2018, 63). Dabei macht Sternfeld darauf aufmerksam, dass eine solche subversive Praxis der Undercommons Gefahr läuft, in der Geste flüchtiger Verweigerung zu verharren. Im Anschluss daran frage ich nach den Potentialen, die Formen der Vergesellschaftung und Aneignung der symbolischen Autorität von Museen und Archiven für die radikale, kollektive Imagination demokratischer Alternativen bereithalten. In Anknüpfung an Saidiya Hartmans Arbeiten zu einer kritischen fabulation (2019), die die Lücken der offiziellen historischen Archive auslotet, und Bonnie Honigs Idee einer emanzipatorischen Gegenaneignung gesellschaftlicher Erinnerungspraktiken (2021) schlage ich vor, radikaldemokratische Vergesellschaftungen musealer Räume als Praktiken der Erweiterung politischer Vorstellungshorizonte zu denken.

Strukturen verändern: Umgang mit und in kolonialer Toxizität

Eine echte Dekolonialisierung der ethnologischen Museen erfordert die drastische Umgestaltung - besser gesagt, den Abbau - von ungleichen Machtverhältnissen und weißen Privilegien. Das ist schmerzhaft und provoziert Widerstand. Trotz aller internationalen, nationalen und lokalen Debatten und Initiativen haben sich die Museen vielleicht nicht grundlegend verändert. Sind ethnologische Museen wirklich der Dekolonisierung verpflichtet oder geht es ihnen in erster Linie darum, den Status quo zu erhalten und ihr Gesicht zu wahren? Wie können wir also verhindern, dass diese sogenannten Dekolonisierungsprozesse nicht nur eine leere Worthülse sind, dass gleichzeitig die Kolonialität nur fortgesetzt und alte weiße Privilegien nicht aufgegeben werden? Inwiefern können Museen tatsächlich zu empathischen Foren für die postmigrantische Gesellschaft werden? Anhand einiger Beispiele aus meiner eigenen Museumspraxis, seit ich 2015 in deutschen ethnologischen Museen arbeite, werde ich die Fallstricke und Unmöglichkeiten von Dekolonisierungsprozessen im politischen Kontext - Ankunft von Pegida in Sachsen, AfD, BlackLivesMatter und post-documenta fifteen - darstellen.

Den weißen Diskursraum de/normalisieren. Oder: Vom Dilemma in machtvollen Institutionen

Ungleichheitsverhältnisse in machtvollen Institutionen sind systemisch und können nur schwerlich im radikaldemokratischen Sinne aufgebrochen werden. Nach wie vor steuern dominanzgesellschaftlich positionierte Menschen so genannte Diversifizierungsprozesse. Wie aber kann eine emanzipatorische und diskriminierungskritische Museumsarbeit aussehen? Wie lassen sich die Geschichte(n) minorisierter Gruppen auch in den institutionalisierten Kunst- und Kulturräumen erzählen, ohne sie den hegemonialen Repräsentationslogiken unterzuordnen? Welche Möglichkeiten gibt es, die Vereinnahmungstendenzen machtvoller Institutionen zu durchkreuzen? Am Beispiel ihrer Arbeiten am Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln und am Stadtmuseum Berlin reflektiert Aurora Rodonò die Un/Möglichkeiten radikaldemokratischer, struktureller Veränderungen.

12–13 Uhr

Assembly